IDZ-Studie zu Stress und Parodontitis
Vieles spricht für einen Zusammenhang, wenngleich eindeutige Beweise noch fehlen
KÖLN (MedCon) Die Annahme, dass die Parodontitis eine Erkrankung ist, an der auch Stress als (Mit-)Ursache in Frage kommt, gewinnt heutzutage immer mehr an Popularität. Renate Deinzer, Düsseldorf, untersuchte Studien zu Streß und Parodontitis und wertete retrospektive Studien, nichtexperimentelle Studien, nichtexperimentelle prospektive Studien und tierexperimentelle Studien aus. Zusammenfassend kommt die Mehrheit der Studien mit Menschen zu dem Ergebnis, dass Stress und Parodontitis tatsächlich assoziiert sind.
Die zahlreichen korrelativen Studien, die einen Stress-Parodontitis-Zusammenhang feststellen, könnten als ein erster vorsichtiger Hinweis auf die mögliche Gültigkeit der Stress-Parodontitis-Hypothese gewertet werden, formuliert Deinzer. Kritisch müsse allerdings angemerkt werden, dass die überwiegende Zahl dieser Untersuchungen retrospektiv sei. Ihre Aussagekraft hinsichtlich der Gültigkeit kausaler Hypothesen sei damit sehr gering.
Wenig analysiert sind bis heute mögliche Zusammenhänge zwischen stressassoziierten Persönlichkeitsmerkmalen und Parodontitis. Hier deuten die Daten auf einen Einfluss des Streßverarbeitungßtils der Patienten hin. Interessante Daten bieten dazu ausgerechnet tierexperimentelle Studien: Sie zeigen, daß eine erhöhte Reagibilität der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse mit einem erhöhten künftigen Parodontitisrisiko einhergeht. Ob diese Befunde auf den Menschen übertragbar sind, sollte in künftigen Studien unbedingt geklärt werden.
Deinzer bilanziert: Fasse man die untersuchten Daten zusammen, spreche viel für die Gültigkeit der Stress-Parodontitis-Hypothese. Es lassen sich eindeutige statistische Zusammenhänge zwischen den beiden Faktoren bei Menschen nachweisen; stressassoziierte Parameter weisen gerade im Tierexperiment signifikante Zusammenhänge zur Parodontitis auf. Nichtexperimentelle prospektive Humanstudien zeigen, daß erhöhter Stress mit einer Vernachläßigung der Mundhygiene und einer Veränderung der parodontalen Entzündungsregulation einhergeht.
Schließlich weisen tierexperimentelle Studien Streßwirkungen auf die Immunantwort auf einen Leitkeim der Parodontitis nach; eine in vitro-Untersuchung zeigt darüber hinaus, daß Stresshormone das Wachstum parodontitisrelevanter Keime verändern können.
Dennoch könnten und sollten die Befunde nicht als ausreichender Beleg für die Gültigkeit der Stress-Parodontitis-Hypothese interpretiert werden, schränkt Deinzer ein. Dazu bedürfe es weiterer Studien.
In den bislang publizierten Studien zeigten sich drei wesentliche Mängel, es fehlen:
- tierexperimentelle Studien, welche den Einfluß von Stress auf Parodontitis direkt untersuchen
- gut kontrollierte, prospektive Humanstudien, die den Zusammenhang zwischen Stress und Parodontitis weiter analysieren
- Studien, die systematisch den Einfluß diverser Moderatorvariablen wie HHNA-Reagibilität, Geschlecht und Messzeitpunkt auf mögliche Stress-Parodontitis-Zusammenhänge erfassen.
Hier, so Deinzer, bestehe dringender Forschungsbedarf. Zwar könne die Praxis aufgrund des derzeitigen Kenntnißtandes nicht sicher davon ausgehen, dass Stress das Parodontitisrisiko beeinflußt. Bedeutsam sind aber dennoch Befunde aus Examenßtudien, die zeigen, dass mittelfristige Belastungen mit einer Vernachläßigung der Mundhygiene einhergehen. Auch weisen diese Studien darauf hin, dass die Entzündungsreaktion auf Plaque unter Stress verändert ist.
Patienten, so Deinzer, sollten über diese Zusammenhänge aufgeklärt werden, zumal die stressbedingte Vernachlässigung der Mundhygiene offensichtlich nicht bewusst ablaufe.
Quelle:
IDZ Nr. 2/2004, 2. Juni. Stress und Parodontitis: Neue Erkenntnisse zu einer alten Vermutung, S. 3-16
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